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Hier liegt meine Tante Hilde…

Dienstag, Oktober 2nd, 2012

Sie wäre heute 88 Jahre alt geworden. Die Jahre, die sie gelebt hat, waren verdammt harte Jahre, Nazi-Gegnerschaft trotz einer Nazi-Schwester und eines Nazi-Schwagers. Krieg in Berlin im Bombenhagel überlebt, von der Roten Armee befreit, wie eine junge Frau in Berlin eben von denen befreit wurde, Hunger, einzige Ernährerin der Familie, Organisationstalent, lebenslustig, kranker Vater, später einen Mann, der verdienter Zahnarzt des Volkes wurde, wohl weil er gut zahlenden SED – Bonzen West-Gold in den aufgerissenen Mund setzen konnte, das ein junger West-Berliner Student (ich 😉 ) nach Ost-Berlin geschmuggelt hatte, dann die schwer kranke Mutter und den dann bald chronisch psychisch kranken Mann aufopfernd gepflegt, sich nie den Traum vom Westen erfüllen könnend, obwohl es die Chance gab, aber sie die Ihren nicht allein lassen wollte/konnte, immer mit einem Bein im Stasi-Knast, trotz/weil Stasi „Freunde“ in der Wohnung ein und aus gingen, Wäsche wurde nur mit Persil gewaschen und Jakobs Kaffee getrunken (Westfernsehen),  die Sachen brachte der erwähnte junge Student unter manchmal witzigen Umständen über Grenze. Sie trug die größten Hüte und die auffälligste Lippenstiftfarbe Ost-Berlins, mondän (wie sie glaubte, was mondän wäre) und grell in Opposition zum öden DDR-Grau,  wenn wir loszogen, sie in Begleitung des langhaarigen West-Studenten im Parka (wieder ich 😉 )  war ein Hingucker ;-), sie flüsterte ihre Kritik an der Verlogenheit des DDR-Systems so laut, dass man Angst um sie haben musste, aber sie hatte in der Nazi-Zeit gelernt, flüsternde Kritk zu üben und zu überleben, sie hatte ein Umfeld von Freunden, das sie dank „Westbeziehungen“ mit durchbrachte, sie konnte lebenswichtige Medikamente und andere Dinge besorgen und tat es auch,  dann starb die Mutter, dann der Ehemann, der Westen, die Einheit kam, aber für sie zu spät, sie wurde schwer krank und es war eine Gnade des Lebens, dass sie durch die Krankheit in einer Traumwelt leben konnte, in der ihr alle ihre Lieben wieder gegenwärtig wurden. Ihre Freunde, denen sie so oft geholfen hatte, waren (fast) alle verschwunden, als sie eigenes Westgeld hatten. So ging Tante Hildes Leben vor 10 Jahren in einer Pflegeeinrichtung zuende und ich war nicht da, als sie ging. Nein, sie hatte keine Chance auf einen Orden, sie hat sich nur verdient gemacht, um die Familie, um mich, um die Menschlichkeit…Tja, das wars, was ich mal los werden wollte! Heute…an ihrem Geburtstag…

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